„Also das wäre eine Revolution“ – dieser Kommentar einer Teilnehmerin bringt es auf den Punkt:
Eine am Menschen orientierte, bedarfsgerechte und freundliche Verwaltung erscheint allen Anwesenden wünschenswert, aber vielen nur sehr schwer umsetzbar.
In unserer 6. Veranstaltung in der Reihe „Räume öffnen – Let’s talk change“ stellte Gabriel Eichsteller, Sozialpädagoge und Mitgründer der britischen Organisation Thempra, den Ansatz der „Human Learning Systems“ vor.
Seit einigen Jahren haben sich in Großbritannien, aber auch weltweit Organisationen und Einzelpersonen zusammengeschlossen, um Verwaltungshandeln wieder zu dem zu machen, was es eigentlich sein soll: eine am Gemeinwohl orientierte Hilfestellung für Menschen. Statt nur nach Paragrafen zu entscheiden, lernen Organisationen mit HLS, auf den Einzelfall zu schauen. Sie nehmen sich Zeit, um die Hintergründe von individuellen Notlagen zu verstehen und wagen es, die internen Abläufe und Entscheidungen zu verändern.
Keine neue Methode, sondern ein verändertes Menschenbild
In seiner Präsentation sprach Gabriel Eichsteller von unserem Bedürfnis zur Vereinfachung: Wir wünschen uns einfache, übertragbare Lösungen für einfache Probleme. Die Welt – und die Menschen darin – sind aber viel komplexer. Nur selten gibt es einen einzigen Ursprung eines Problems, und jede Notlage ist individuell.
HLS besteht deswegen weniger in einer komplett neuen Arbeitsweise, sondern vor allem in einem Menschenbild. Statt als Bildhauer*innen können wir uns als Gärtner*innen verstehen, die einen Raum schaffen, in dem Menschen gedeihen können.
Ein Beispiel aus der Praxis
An einem Beispiel aus der nordenglischen Kommune Gateshead erzählte Gabriel Eichsteller, wie sich Verwaltungshandeln mit HLS verändern kann. Eine alleinerziehende Mutter zahlte ihre Kommunalsteuer nicht mehr. Normalerweise wird in einem solchen Fall gemahnt und schließlich ein Gerichtsvollzieher geschickt. Stattdessen kam nun eine Sozialarbeiterin. Sie konnte die Gründe ermitteln: Kaitlynn hatte einen aggressiven Nachbarn, ging aus Angst kaum noch aus der Wohnung und zur Arbeit und verlor ihr Einkommen. Wegen des Nachbarn kam auch ihre Mutter nicht mehr, um auf den Sohn aufzupassen, der nun die Schule schwänzte. Die Lösung war es, ihr eine neue Sozialwohnung zu verschaffen, die in der Nähe einer Schule lag. Auch finanziell hat sich das rentiert: Es musste nur eine neue Schuluniform gekauft werden – sehr viel preisgünstiger als Mahngebühren und Gerichtsvollzieher.
Warum ist es so schwer umzusetzen, was zunächst so einfach klingt?
Die Motivation, Menschen zu unterstützen, teilen doch sicherlich alle, die in der Verwaltung tätig sind.
In der anschließenden Diskussion geht es viel um Hürden, die unüberwindlich scheinen. Vor allem Personalmangel und damit verbundene Überlastung scheinen im Weg zu stehen. Kritisiert wird auch, dass die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sehr groß sei. Es gibt Ängste davor, abgestraft zu werden, wenn man zu kreativ wird.
Viele kleine Schritte
Wir diskutieren aber auch über Verantwortung und über Haltung. Wer muss, wer kann Entscheidungen treffen? Wer kann, wer muss sich verändern? An welcher Stelle setzen wir an? Was lässt sich schon ausrichten, wenn die Veränderung nicht von oben gewollt ist?
Ideen gibt es aber dennoch. Haltungsveränderung beginnt im Kleinen. Es kann schon einen Perspektivwechsel bedeuten, wenn die Möbel im Büro anders gestellt werden. Es kann den Umgang schon stark verändern, wenn ein Gespräch anders begonnen wird. Und: Wir alle können dafür sorgen, dass es mehr Räume für den Austausch gibt – um über das Menschenbild und die Ethik im öffentlichen Dienst zu sprechen, um voneinander zu lernen, um sich über bereichsübergreifende gemeinsame Ziele zu verständigen, statt in Konkurrenzen zu verharren.
Einen solchen Raum hat diese Veranstaltung geschaffen. Wir haben wichtige Anregungen gesammelt: Es braucht Beispiele gelungener Praxis aus Berlin, um andere zu motivieren, auch entgegen allen Widrigkeiten Dinge anders zu machen. Es braucht Unterstützung für Führungskräfte, die ihr Team gegen Frust und Überlastung stärken möchten.
Wir bleiben weiter in Kontakt mit Gabriel und sind gespannt auf Ihre Rückmeldungen zur Veranstaltung – und vielleicht zu Ihren eigenen Erfahrungen mit der Umsetzung!