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Ein bewegender Auftakt für unsere neue Reihe „Räume öffnen – Let’s talk privilege“

Zum ersten Mal haben wir die Veranstaltung mit einer kleinen biografischen Schreibübung begonnen. Die Motivation dahinter: Armut geht uns alle an – wir alle haben einen persönlichen Bezug dazu, ob wir privilegiert sind oder Armutserfahrungen machen. Und unsere Privilegien, unsere Erfahrungen können wir nur dann nutzen und aus ihnen lernen, wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen. Biografisches Schreiben kann berühren – und öffnet für die Erfahrungen von anderen.

Deshalb brachten die etwa 30 Teilnehmenden als allererstes ihre Erinnerungen an ihre Brotdose zu Papier. Wie sah sie aus? Was war darin? Und mit welchen Gefühlen denken wir daran? Undine Zimmer, Autorin und Mitarbeiterin des Jobcenters Reutlingen, stieg mit der Lesung aus ihrem biografischen Buch „Nicht von schlechten Eltern“ an passender Stelle ein: Sie erinnert sich darin an ihre Pausenbrote und auch an die Dinge, die sie nicht in die Schule mitbekam. Etwa die Trinkpäckchen, die sie sich so sehr wünschte – die ihrer Mutter aber nicht nur zu ungesund, sondern auch zu teuer waren.

„Es ist ein Unterschied, ob man sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheidet, gewisse Dinge nicht zu kaufen, wenn man weiß, man könnte es, oder etwas nicht kauft, weil man es nicht kann. Selbst wenn es nicht besonders gesund ist: Ein Trinkpäckchen kann zum Statussymbol werden.“

Armut ist ein strukturelles Problem, und über Privilegien zu sprechen ist nicht so leicht. Mit Auszügen aus ihrem Buch nahm Undine Zimmer uns mit in ihre Kindheit und Jugend, schilderte konkrete Erlebnisse, die aber doch wie Metaphern für uns gelesen werden konnten. Ein Vortrag, eine Lesung, die anders war als sonst üblich. Während sonst die Frage „Gibt es Verständnisfragen zum Impuls?“ meist selbstverständlich in eine erste Rückmeldung im Plenum führt, war es nun still. Es entstand im übertragenen und doch auch realen Sinne ein „Raum der Sprachlosigkeit“. Berührt von Undine Zimmers Einblicken in ihr Leben, auch von ihrem Mut, sich zu zeigen mit ihren Gefühlen und Erfahrungen.

Hin zur Besprechbarkeit!

Es fällt uns offenbar nicht leicht, danach aus der oder in der Rolle als Fachkräfte darüber zu sprechen, vielleicht mit dem Gefühl, sich privilegiert zu fühlen oder selbst betroffen zu sein. Das müssen wir üben – und gemeinsam weitergehen. Wir freuen uns, und das zeigen auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden – dass es in diesem Format und dank Undine Zimmers Offenheit gelingt, einen Schritt in Richtung Besprechbarkeit zu gehen.

Und Undine Zimmer las nicht nur aus dem Buch, sondern erzählte auch von ihren heutigen Erfahrungen in einer Arbeitswelt, in der sie zunächst sehr allein war. Denn Menschen wie sie, Menschen mit Armutserfahrung, waren in den Behörden lange kaum vertreten. Das ändere sich zum Glück in den letzten Jahren, berichtete sie, und auch, welche Rückmeldungen ihr am meisten bedeuten. Gerade Kolleg*innen, die ebenfalls mit armen Eltern, mit alleinerziehenden Müttern oder mit eingewanderten Eltern aufgewachsen sind, kommen manchmal auf sie zu und sagen, dass das Buch sie gestärkt hat. „Eine schönere Wirkung hätte ich mir nicht denken können“, sagte Undine Zimmer.

In den letzten Jahren sei schon viel passiert. Als sie das Buch schrieb, fehlte noch das Vokabular, um über Klasse zu sprechen. Heute gebe es viele selbstbewusste Stimmen. Autor*innen wie Anna Mayr, Christian Baron, Olivier David, Dominik Bloh und Jeremias Thiel könnten viel selbstbewusster Teilhabe und Sichtbarkeit einfordern als ihr das vor zehn Jahren möglich war.

Umso wichtiger, dass sich auch an der anderen Seite etwas bewegt: Die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien ist schmerzhaft und erfordert viel Übung. Umso mehr, als es dabei nicht stehen bleiben sollte. Wichtig ist es, diese Privilegien solidarisch einzusetzen und ins Handeln zu kommen – auf dem Weg zu gleicher Teilhabe für alle.

Im Anschluss an den Beitrag von Undine Zimmer suchten die Teilnehmenden nach Möglichkeiten, genau das in ihrer Arbeit, in ihrer Rolle zu tun.

Wir freuen uns über diesen ersten Versuch und auf die weiteren Gelegenheiten. Wir lernen weiter dazu! Und auch über Ihre Kommentare zur Veranstaltung und zum Mitschnitt freuen wir uns.