„Keine Aufstiegsgeschichte. Warum Armut psychisch krank macht“: In der Reihe „Räume öffnen – Let’s talk privilege“ sprachen wir mit dem Autor Olivier David über ein spezifisches, schmerzhaftes Thema: Menschen, die in Armut leben, sind besonders gefährdet, psychisch zu erkranken. Damit stand ein Kernthema unseres Trägervereins im Mittelpunkt: der Zusammenhang von Armut und Gesundheit.
Und dieser Zusammenhang ist ein ganz logischer.
Wer jede Ausgabe genaustens berechnen muss, wer ständig Preise vergleichen muss, ist einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. Wer sich gleichzeitig keinerlei Entspannungs- oder Freizeitangebote leisten kann, hat auch weniger Möglichkeiten, sich von Stress und Belastung zu erholen. Wer dazu noch aufgrund der eigenen finanziellen Lage oder aufgrund einer Erkrankung gesellschaftlich abgewertet wird, trägt eine zusätzliche Last. Dieser Dauerstress macht krank.
Ein persönliches Buch
Olivier David hat ein persönliches Buch geschrieben, ein erzählendes Sachbuch, in dem er seine eigene Erfahrung mit Armut und auch die seiner alleinerziehenden Mutter beschreibt. Seine Geschichte zeigt all die Ambivalenzen auf, die Armut in einer reichen Gesellschaft mit sich bringt: Auch wenn sein Lebenslauf auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte klingt – er hat ein Volontariat und eine Ausbildung abgeschlossen und studiert nun Kreatives Schreiben –, lässt sich derselbe Lebenslauf auch ganz anders lesen: Als beständiger Kampf gegen Anforderungen, die sich anderen Menschen nicht stellen, ein Kampf, der psychisch fordert.
Eine individuelle Geschichte im gesellschaftlichen Kontext
In seiner Lesung für MitWirkung sprach er aber nicht nur über die eigene Familie, sondern stellte seine Geschichte in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Er teilte mit uns zahlreiche Studien, die belegen, wie dramatisch die psychischen Auswirkungen von Armut sein können – und wie groß die Hypothek sein kann, mit der ein betroffenes Kind ins Leben startet.
Verantwortung erkennen und wahrnehmen
Olivier David hat uns einen Raum eröffnet, um über persönliche Betroffenheit zu sprechen – aber vor allem, um auszuloten, wie wir auf der einen Seite handlungsfähig werden können, ohne auf der anderen Seite die systemischen Zusammenhänge aus dem Blick zu verlieren. Menschen tragen Verantwortung – für ihr eigenes Handeln, aber auch dafür, dass die von ihnen geschaffenen Strukturen hilfreich und nicht-diskriminierend sind. Hier möchten wir weiter wirken, zusammen mit Ihnen!
Olivier David hat diese Studien mit uns geteilt:
- Armut und psychische Störungen – Zahlen des Robert Koch Instituts über Kinder und Erwachsene: https://www.dgvt-bv.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Lampert_Schmidtke_Armut_soziale_Ungleichheit_1.pdf
- Studie „Poverty, Depressions, Anxiety“ des Massachusetts Institute of Technology: https://www.nber.org/system/files/working_papers/w27157/w27157.pdf
- Studie zum Nutzen von sozialen Netzwerken aus der Kindheit im Erwachsenenalter: https://www.nature.com/articles/s41586-022-04996-4
- Studie zu innerfamiliärer Gewalt: https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_80.pdf
- Einsamkeit und sozialer Rückzug unter Armutsbetroffenen in Deutschland: https://academic.oup.com/esr/article-abstract/33/4/615/4055899?redirectedFrom=fulltext
- Zum Zusammenhang der stressinduzierten psychischen Erkrankungen mit Armut: It is stressful to be poor, and that stress can keep people in poverty (vice.com)